Quellen der Vitalität, der Lebenskraft
Gabriel Stux
Die Lebensenergie ist die Vitalität die wir leben, unsere tägliche Lebenskraft, das Qi. Diese Lebenskraft Qi ist Grundlage allen Lebens. Sie bildet die Basis der chinesischen Naturbeschreibung. Das Qi ist überall in der Natur vorhanden, ist die Lebenskraft, die sich in allem Lebendigen in Form von Veränderung und Bewegung zeigt.
Nach Vorstellungen der chinesischen Medizin kommt die Lebensenergie Qi aus dem Atem und aus der Nahrung. Der Austausch von Lebensenergie steht im Mittelpunkt von menschlichen Beziehungen. Qi ist Leben, wie der Atem ständig in Bewegung, fließend, Veränderungen hervorbringend. Die Lebensenergie Qi und das Blut fließen zusammen, in einer innigen Abhängigkeit.
Die chinesischen Vorstellungen von Qi gehen über die westliche physikalische Energievorstellung weit hinaus. Der Begriff „Energie“ oder Lebensenergie beschreibt den bewegten, dynamischen, veränderlichen immateriellen Charakter von Qi.
Die Lebensenergie ist ein direkt erfahrbares Phänomen. Durch das chinesische Qi Gong, d. h. mit den Atem- und Meditationsübungen, lässt s ich Qi fühlen und lenken, und zwar als Fließen im Körper oder als eine Art Ladung, z. B. in den Händen.
Im Mittelpunkt der chinesischen Vorstellungen zum gesunden Leben steht die Pflege der Lebenskraft, des Qi der Chinesischen Medizin, das Prana in der indischen Medizin.
Das Phänomen der Lebenskraft, wurde im 19. Jahrhundert viel beschrieben u. a. ausführlich von Hufeland. Gerade Hufeland, der Leibarzt von Goethe, Schiller, Herder und Wieland, der Namensgeber der Universität Essen, schrieb ausführlich über die Lebenskräfte als Grundlage für ein langes und gesundes Leben u. a. in seinem Hauptwerk Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern (1796), in dem eine besondere Ernährung und ein harmonischer Lebensstil empfohlen wird. Durch den preußischen Pathologen Rudolf Virchow und anderen rational denkenden Naturwissenschaftlern wie auch Helmholz wurden Vorstellungen einer dem Leben innewohnenden Lebenskraft aus der westlichen Medizin weitgehend eliminiert.
In der Chinesischen Medizin wird der Beschreibung von Funktionen der Organe, den funktionellen Lebensvorgängen eine vorrangige Stellung eingeräumt. Die Funktionen der Organe werden von den Lebenskräften, die den Organen innewohnen, hervorgebracht. Die Organe werden als Speicher der Lebensenergie beschrieben und mit Kornkammern verglichen.
Fünf Quellen der Lebensenergie werden von der Chinesischen Medizin beschrieben.
Diese Quellen werden hier kurz dargestellt, um die Ursachen für die häufigsten Formen von Schwäche der Lebenskräfte und den Möglichkeiten der therapeutischen Hilfe aufzuzeigen.
Die Atmung als Funktion der Lungen, die Verdauung der Nahrung als Funktion des Magens und Darms sind Ausdruck des Wirkens der Lebenskräfte dieser Organe. Qi reguliert die Qualität aber auch die Quantität der Funktionen. Ist die Lebensenergie eines Organs durch Stress geschwächt, wird die Funktion dieses Organs nur unvollständig sein.
Atmung, die Quelle unserer Lebenskräfte
Die Atmung ist die erste und wichtigste Quelle unserer Lebenskräfte. Wir atmen Lebensenergie ein. Wenn wir tief, entspannt Einatmen aktivieren wir unsere Lebensenergie.
Im Wort inspirieren, d.h. einatmen liegt die Bedeutung der Atmung als Zugang zu unserer Kreativität und Spiritualität - beleben, beseelen, inspiriert sein. Die bewusste Atmung ist als Brücke zwischen Seele und physischem Körper zu sehen und verbindet somit Geist und Körper miteinander.
Zur Belebung der Körperkräfte geht zunächst die Aufmerksamkeit für fünf bis zehn Minuten zum tiefen und ruhigen Einatmen. Durch wiederholtes tiefes Einatmen wird die Lebensenergie aufgeladen.
Dann wendet man sich dem Ausatmen zu. Hier ist der Fokus der Aufmerksamkeit auf ein entspanntes, verlängertes, vollständiges Ausatmen gerichtet:
„Langsam und tief ausatmen ... länger Ausatmen, ... alles loslassen, ... mit jedem Atemzug mehr loslassen.“ Diese fokussierte Ausatmung entspannt den Körper und bringt verbrauchte Energien und Spannungen aus dem Körper heraus. Gerade das entspannte und ruhige Ausatmen ist sehr hilfreich um die Spannungen zu lösen und so die Lebenskräfte zu harmonisieren. Verlängertes Ausatmen führt zu deutlicher Entspannung und fördert das Fließen der Lebensenergie im Körper. Gesundheit ist gekennzeichnet durch freies Fließen bzw. Pulsieren der Atem- und Lebensenergie in den Organen, den Meridianen und Energiezentren.
Eine eingeschränkte Atmung ist ein Anzeichen für Blockaden, für eingeschränktes Fließen der Lebensenergie. Mit achtsamer Unterstützung des Atemrhythmus kommt man mit Inhalt und Atmosphäre der Einengung in Verbindung. Durch die bewusste Atmung gelangt man dann in eine Ausweitung und belebt den Raum. So erlebt man sich in neuen Verbindungen: Emotionale, mentale und physische Energiestrukturen verändern sich und heilen.
Mit „Schwäche der Lungenenergie“ beschreibt die Chinesische Medizin Störungen, bei der die Stärke der Atemfunktion vermindert ist. Man atmet weniger tief ein und nimmt weniger Sauerstoff auf. Diese zeigt sich meist an einer leisen Stimme mit weniger Ausdruck d.h. auch an der mangelnden Kraft der Stimme, aber auch an Husten ohne Kraft. Dies führt zu einer allgemeinen Schwächung der Körperenergien.
Die Chinesische Medizin richtet ihre Aufmerksamkeit bei der Beschreibung der inneren Organe auf deren Funktion und weniger auf den anatomischen Bau der Organe. Die Lunge ist für die Einatmung und Ausatmung der Luft und für die Aufnahme des Sauerstoffs aus der Luft in das Blut verantwortlich. Auch die ungestörte Verteilung des Sauerstoffs und damit die gute Durchblutung im Körper ist eine wichtige Funktion der Lunge. Diese Funktionen sind meist abhängig von einer ruhigen, tiefen Atmung. Die Lunge ist ein Raum, in dem wir aus der Atemluft die Energie für das Leben in den Körper aufnehmen.
Aufnahme der Nahrungsenergie
Die Nahrung ist die zweite wichtige Quelle der Lebensenergie. Die Nahrung wird zunächst in den Magen aufgenommen und dann mithilfe der Verdauungssäfte verdaut, die vom chinesischen „Milz-Pankreas-System“ ausgeschüttet werden. Das Milz Pankreas System wird nach Vorstellung der Chinesischen Medizin dem Element Erde zugeordnet, weil die Nahrung auf der Erde wächst, aus der Erde kommt.
Die Verdauungsprozesse vollziehen sich im Magen und im Dünn- und Dickdarm.
Wenn zu wenig Verdauungssäfte ausgeschüttet werden, was bei einer Schwäche des Milz Pankreas der Fall ist, kann die Nahrung nicht vollständig verdaut werden: unverdaute Nahrungsreste werden ausgeschieden, weiche Stühle sind häufig zu finden, oder Blähbeschwerden begleiten die Verdauung der Nahrung. Bei diesen Störungen der Verdauungsfunktion ist die Dauer der Nahrungsverdauung verlängert. Die Nahrung sollte von guter energetischer Qualität sein, auch nicht zu kalt sein.
Grundenergie von den Nieren
Nach Vorstellungen der Chinesischen Medizin ist die Niere eine weitere wichtige Quelle unserer alltäglichen Energie. Die Niere ist der Sitz unserer Grundenergie, des Yuan-Qi mit der wir beispielsweise jeden Morgen ausgeruht und aufgeladen aufwachen.
Neben der Lebensenergie Qi kommt in der chinesischen Medizin dem Jing, der „Lebensessenz“, eine wichtige Rolle in der Beschreibung der Lebensvorgänge zu. Die Lebensessenz, wird als die materielle Basis des des Qi, des Erb-Qi betrachtet. Jing wird auch als „Samen des Lebens“ und als „Urkraft der Reproduktion“ bezeichnet. Das Jing ererben wir von den Eltern. Sie wird im Beckenraum, in der Niere gespeichert und an die Nachkommen weitergegeben.
Somit schließt das chinesische Nierensystem die Funktion der Reproduktionsorgane ein. Aus der Vereinigung des Eltern-Jing entsteht das Lebensessenz Jing, das die Entwicklung des Individuums und seine spezielle Konstitution bestimmt. Jing vermehrt sich nicht im Laufe des Lebens sondern nimmt in der Alterungsphase kontinuierlich ab.
Diese Lebensessenz Jing bestimmt unsere Konstitution, ob wir zartgliedrig sind, oder groß und breitschultrig. Die Nierenenergie bekommen wir von unseren Vorfahren, von unseren Eltern. Haben diese eine kräftige Konstitution, erben wir viel Lebensenergie und haben einen kräftigen Körper.
Die Konstitution wird auch den fünf Qualitäten der Wandlungsphasen Feuer, Erde, Metall, Wasser und Holz zugeordnet. Die fünf Qualitäten der Äußerungen der Lebensenergie werden auch Elemente genannt und werden in einer getrennten Publikation genauer beschrieben.
Die wichtigste Qualität der Niere ist Ruhe, aus der die alltägliche Stärke kommt. Deshalb ist ruhiger, tiefer Schlaf lebensnotwendig und Langsamkeit im Alltag, eine Entschleunigung für viele Menschen notwendig. Dies fördert die Gesundheit. Meditation hilft, über das Ruhig- und Leerwerden des Bewusstseins die Regeneration unserer Körperenergien zu intensivieren. Lärm stört und schwächt die Nierenenergie. Über die „Erdung“ der Lebenskräfte durch tiefe Atmung in den Beckenraum hinein, werden Wege zur Nutzung dieser tiefen Quellen der ruhevollen Nierenenergie erschlossen.
Mit Nierenschwäche beschreibt die Chinesische Medizin Funktionsstörungen der Beckenorgane, die mit einer Vielzahl von Symptomen einhergehen: übermäßige Müdigkeit und Schwächegefühl mit leichter Erschöpfbarkeit und Antriebsmangel mit Ängstlichkeit, gedrückte Stimmungslage mit Rückzug von der Umgebung und leichter Depression. Auch blasse oder leicht gräuliche Hautfarbe sind bei Nierenschwäche zu finden. Kalte Füße, leichtes Frieren bzw. deutliche Kälteempfindlichkeit sind weitere häufige Symptome.
Oft findet man Steifigkeit der Wirbelsäule besonders in der Lendengegend und der Gelenke, mit Schmerzen der Lendenwirbelsäule und anderer Gelenke. Dies sind Symptome des Bewegungsapparates, die auf eine Nierenschwäche hindeuten.
Die Leber fördert das freie Fließen der Lebensenergie in den Muskeln und das Fließen der Gefühle
Die Leber fördert nach Vorstellungen der Chinesischen Medizin das freie Fließen der Lebensenergie und ist auch an der freien Entfaltung und am Ausdruck der Gefühle maßgeblich beteiligt. Die fließenden Bewegungen der Muskeln sind auch von einem ungestörten Fließen der „Leberenergie“ abhängig.
Die meisten Leberstörungen gehen mit einer Störung im harmonischen Fließen der Körperkräfte und der Körperflüssigkeiten, einer Stagnation im Fließen einher.
Dann ist auch der Ausdruck der Gefühle gehemmt. Das häufigste Störungsmuster der Leber ist die Stagnation des Leber-Qi, das mit einer Vielzahl von Symptomen einhergeht: Spannungsgefühl im Körper besonders in der Muskulatur, mit Kopfschmerzen, auch Stauungsgefühlen, Reizbarkeit, oder plötzliche Emotionsausbrüche mit Wut oder Zorn können auftreten.
Auch Stimmungsschwankungen mit depressiven Episoden und Frustrationsgefühlen können die Emotionsausbrüche begleiten. Das Zurückhalten bzw. die Kontrolle von Emotionen können zu erhöhtem Blutdruck oder auch zu heftigen Kopfschmerzen führen.
Eine lang dauernde Leber-Stagnation kann andererseits durch Erschöpfung zu einer Schwäche des Leber-Qi führen, die durch starke Müdigkeit (Fatigue-Syndrom) gekennzeichnet ist.
Mit bewusster Atmung und Qi Gong-Meditation fördert man das freie Fließen der Leberenergie und kann es anhaltend im Fluss halten. Gerade gelenktes Qi Gong hilft die Leberenergie dauerhaft und so nachhaltig zu harmonisieren. Regelmäßige körperliche Bewegung und Sport sind ebenfalls essentielle Teile der Behandlung von Leberstörungen.
Geringe Mengen von Alkohol beispielsweise 1-2 Gläser Wein oder Bier fördern das Fließen der Leberenergie. Der Ausdruck der Emotionen wird gefördert, die Emotionshemmung gemildert. Wenn man aber zu viel Alkohol trinkt, wird die Leberenergie deutlich geschwächt und auch geschädigt.
Das Herz im Mittelpunkt von liebevollen Beziehungen
Das Herz steht im Mittelpunkt von positiven und herzlichen Beziehungen. Es ist der Sitz der Freude im Körper des Mitgefühls und der Liebe. Das Herz hat eine expansive Energie, eine sich ausweitende wärmende Energie, die Menschen verbindet und Beziehungen knüpft und festigt.
Das Herz reguliert nach chinesischer Vorstellung nicht nur das Fließen von Blut sondern wärmt und belebt die Lebensenergie. Das Herz wärmt auch die Lungen, die oft kalt sind und fördert so auch die Atmung.
Der Raum des Herzens wird als Sitz des Shen, des Bewusstseins und Geistes im Körper betrachtet. Auch die Funktion des Denkens und das Gedächtnis werden vom Shen hervorgebracht. Psychische Funktionen wie Wachheit, Klarheit der Gedanken, Gedächtnis, Schlaftiefe usw. kann man über die Harmonisierung des Herzens positiv beeinflussen.
Die Integration von Qi Gong während der Akupunktursitzungen mit der kreisförmigen Haltung der Hände erhöht die Bewusstheit für die Energieräume des Herzens, des Bauchraumes und des Beckens. Die Hände werden kreisförmig zunächst vor dem Brustraum, später auch kreisförmig vor dem Bauch- bzw. Beckenraum gehalten und langsam ausgeweitet. Mit den Händen unterstützt man die Sammlung des Bewusstseins auf die Atmung, auf tiefes Einatmen, auf die verlängerte Ausatmung, auf den Herzraum.
Qi Gong ist eine prophylaktische Methode von Atem- und Meditationsübungen zur Prävention und Therapie. Der Übende leitet die Lebensenergie Qi mit dem Atem, mit langsam fließenden Bewegungen der Hände und mit seinem Bewusstsein durch den Körper. So lösen sich Blockaden leichter und die Bewegungen des Qi werden deutlich wahrgenommen. Ein intensives Gefühl von Entspannung und innerer Gelöstheit stellt sich ein. Das Ziel ist die Harmonisierung und Anregung der Lebensenergie. Qi Gong ist das sanfte, langsame Üben des Qi, eine Methode, die Lebenskräfte zu kultivieren.
Das Herz-Qi Gong fokussiert in besonderer Weise auf den Herzraum. Die Hände helfen den Fokus kreisförmig in diesen Räumen zu halten. In der Sammlung des Bewusstseins nimmt man dann die Qualitäten wahr: das Stärkende des Einatmens, die Entspannung beim Ausatmen, die Wärme und Ausweitung des Herzraumes. Die Lebenskräfte werden so bewusster wahrgenommen. Auf des Herz fokussierte Atem und Meditationsübungen harmonisieren das Herz, man spricht vom Herz-Qi Gong.
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